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Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 18 (2010)
                       

Ahrbeck, B., Eggert-Schmid Noerr, A., Finger-Trescher, U.,
Gstach, J. (Hrsg.):

Psychoanalyse und Systemtheorie in Jugendhilfe und Pädagogik.

Psychosozial Verlag: Gießen 2010

Neben der Psychoanalyse haben auch Systemtheorie und systemische Methoden zunehmend Einfluss auf die Diskurse in Pädagogik und Sozialarbeit gewonnen. Sind es eher berufspolitische Gründe, Entwicklungen der Professionalisierung, gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen oder unterschiedliche Praxen und Handlungsziele, die die Präferenzen und Perspektiven in die eine oder die andere Richtung lenken? In welchem Verhältnis stehen psychoanalytische und systemtheoretisch orientierte Zugänge etwa in einem so zentralen Bereich wie der Jugendhilfe? Die Beiträge des vorliegenden Bandes präsentieren die Kernaussagen der beiden Paradigmen und ermöglichen damit auf der Basis der Abgrenzung zugleich einen weitergehenden Dialog.

Inhalt des Jahrbuchs für Psychoanalytische Pädagogik 18 (2010)

Kastner, P.:

Geschichte(n) verstehen oder systemisch denken. Veränderte Wahrnehmungen in der Sozialpädagogik.

In: Ahrbeck, B., Eggert-Schmid Noerr, A., Finger-Trescher, U., Gstach, J. (Hrsg.): Psychoanalyse und Systemtheorie in Jugendhilfe und Pädagogik. Psychosozial-Verlag: Gießen 2010 [Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 18], 13-26

Abstract: Der Autor versteht die Geschichte der Theorie der Sozialarbeit auch als eine Geschichte des Umgangs mit dem Verstehen. Aus unterschiedlichen Gründen sind Inhalts- und Zieldiskussionen im Selbstverständnis des Faches in den Hintergrund gerückt, zugunsten einer verfahrenstechnologischen Methodenorientierung, die sich im letzten Vierteljahrhundert etabliert hat. Die Lücke, die durch eine Abkehr von psychoanalytischen Theorien entstanden ist, wird zudem durch eine Hinwendung zu einer Lebensweltorientierung geschlossen, die sich von einem klinischen Expertentum distanziert. Damit, so gibt Kastner zu bedenken, wird für einen halbierten Blick auf den Menschen geworben, der sich der inneren Welt der Betroffenen nicht mehr zuwendet. Ein Verstehen, wie es die Psychoanalyse meint, ist (scheinbar) obsolet geworden, wie sich anhand der »Leitlinien eines Kerncurriculums Sozialer Arbeit für Bachelor- und Masterstudiengänge« beispielhaft belegen lässt. Als einzige, mit dieser Neuorientierung kompatible Theorie bietet sich das systemische Denken an, das in der Sozialpädagogik breite Anerkennung gefunden hat. Kastner setzt sich mit diesem Wandel kritisch auseinander und verweist nachdrücklich auf den Verlust, der dadurch eingetreten ist, dass das Individuum nunmehr nur noch in seiner Funktionalität interessiert, und nicht mehr als ein Subjekt, das in sich selbst und mit seiner Umwelt unglücklich verstrickt sein kann und eines verstehenden Anderen bedarf.

Eggert-Schmid Noerr, A.:

Zwangsvermütterlichung. Vom Nutzen des psychoanalytischen Blicks auf den Fall einer gescheiterten Sozialpädagogischen Familienhilfe.

In: Ahrbeck, B., Eggert-Schmid Noerr, A., Finger-Trescher, U., Gstach, J. (Hrsg.): Psychoanalyse und Systemtheorie in Jugendhilfe und Pädagogik. Psychosozial-Verlag: Gießen 2010 [Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 18], 27-50

Abstract: Annelinde Eggert-Schmid Noerr unterzieht in ihrem Beitrag die Fallgeschichte einer Sozialpädagogischen Familienhilfe einer psychoanalytischen Betrachtung. Es geht dabei um den (letztlich gescheiterten) Versuch, die Lebensverhältnisse einer allein erziehenden Mutter mit drei Kindern sozialpädagogisch derart zu beeinflussen, dass insbesondere für das jüngste Kind eine hinreichend günstige Entwicklungsperspektive gesichert erscheint. Als Mit-Ursache des Scheiterns erweist sich auch die nicht gelingende Kommunikation im Team der Helfer. Um die Verhaltensweisen der Klientin zu erklären, bezieht sich die Autorin auf die psychoanalytische Trauma-Theorie. Damit wird die Re-inszenierungs-Struktur der Verhaltensweisen der Klientin erkennbar. Deren Beziehung zu ihren Kindern ist durch Parentifizierung, die subtile Vertauschung von Eltern- und Kind-Rollen, gekennzeichnet. Dadurch kompensiert die Mutter die von ihr erfahrene Traumatisierung, die sie unbewusst an die eigenen Kinder weitergibt. Sowohl bei der Klientin als auch beim Helfer-Team sind Ansätze einer Triangulierung erkennbar, die aus dem Kreislauf der Wiederholungen hätten herausführen können, jedoch werden sie nicht konsequent genug aufgegriffen und damit verspielt. Am Ende verstricken sich Klientin und Helfer in einen nicht mehr auflösbaren Übertragungs- und Gegenübertragungskonflikt. Mit der Analyse dieser Verstrickung verweist der Beitrag auf die Bedeutung einer angemessenen Reflexion unbewusster Dynamiken in der Sozialen Arbeit.

Hermsen, Th., Schmid, M.:

Luhmanns Systemtheorie, Psychoanalyse und Familienhilfe. Ein Systematisierungs- und Abgrenzungsversuch.

In: Ahrbeck, B., Eggert-Schmid Noerr, A., Finger-Trescher, U., Gstach, J. (Hrsg.): Psychoanalyse und Systemtheorie in Jugendhilfe und Pädagogik. Psychosozial-Verlag: Gießen 2010 [Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 18], 51-79

Abstract: In den letzten Jahren werden die Bedeutung und der Stellenwert der Luhmannschen Systemtheorie verstärkt auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen außerhalb der Soziologie diskutiert. Neben einer seit Mitte der 1990er Jahre einsetzenden theoretischen Rezeption in der Sozialen Arbeit treten verstärkt Bemühungen auf, den Stellenwert der Theorie auch für einzelne Arbeitsfelder im Sozial- und Gesundheitswesen herauszuarbeiten. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch für die Psychoanalyse im Allgemeinen und die Familienhilfe im Besonderen beobachten. Der Beitrag gibt in einem ersten Schritt, unter besonderer Berücksichtigung der Sozialen Arbeit und der Psychoanalyse, einen allgemeinen Überblick über die aktuellen Diskussionsstränge. In einem zweiten Schritt werden fallbezogen mögliche Anknüpfungspunkte unter enger Anbindung an die Grundprämissen dieser spezifischen Form einer soziologischen Gesellschaftstheorie diskutiert.

Dörr, M.:

Analogien und Differenzen zwischen psychoanalytischer Pädagogik und konstruktuvistisch-systemtheoretischer Pädagogik.

In: Ahrbeck, B., Eggert-Schmid Noerr, A., Finger-Trescher, U., Gstach, J. (Hrsg.): Psychoanalyse und Systemtheorie in Jugendhilfe und Pädagogik. Psychosozial-Verlag: Gießen 2010 [Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 18], 80-102

Abstract: Der Aufsatz erläutert zentrale Prämissen einer psychoanalytischen Pädagogik sowie einer konstruktivistisch-systemtheoretischen Pädagogik und setzt sich anschließend mit den Möglichkeiten auseinander, zwischen diesen beiden differenten Richtungen der Pädagogik einen verbindenden Bogen zu spannen, der in der Lage ist, pädagogische Antworten auf Fragen bezüglich demokratischer Bildungs- und Erziehungsziele und -anforderungen im derzeitigen neoliberalen Kapitalismus zu transportieren. Dabei werden vor allem die Begriffe genauer beleuchtet, die auf den ersten Blick auf Gemeinsamkeiten hinweisen und sich folglich als Stützpfeiler für einen Brückenbau anbieten. Im Durchgang der begrifflichen Auseinandersetzung wird allerdings erkennbar, das sich die scheinbar gemeinsamen Stützpfeiler eher als Fallstricke erweisen.

Ahrbeck, B., Willmann, M.:

»Verhaltensstörungen« als Konstruktion des Beobachters? Kritische Anmerkungen zu systemisch-konstruktivistischen Perspektiven in der »Pädagogik bei Verhaltensstörungen«.

In: Ahrbeck, B., Eggert-Schmid Noerr, A., Finger-Trescher, U., Gstach, J. (Hrsg.): Psychoanalyse und Systemtheorie in Jugendhilfe und Pädagogik. Psychosozial-Verlag: Gießen 2010 [Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 18], 103-123

Abstract: Der vorliegende Beitrag verfolgt ein begrenztes Ziel. Er beschäftigt sich mit der Rezeption systemisch-konstruktivistischer Beiträge in der »Pädagogik bei Verhaltensstörungen«, derjenigen sonder-, behinderten-, heil- und rehabilitationspädagogischen Disziplin, die sich mit der Erziehung und Unterrichtung psychosozial stark beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher unter erschwerten Bedingungen beschäftigt. Den Ausgangspunkt bildet eine Auseinandersetzung mit den Schriften Wilfried Palmowskis, der die bisherige »Pädagogik bei Verhaltensstörungen« äußerst kritisch betrachtet und für eine grundlegende Neuorientierung des Faches plädiert, die auf systemisch-konstruktivistischer Basis erfolgen soll. Es wird überprüft, inwiefern dieser Anspruch gerechtfertigt ist und ob er zu einer begründeten Alternative führt. Die Perspektiven einer systemisch-konstruktivistisch begründeten Verhaltensgestörtenpädagogik werden sodann, über den Beitrag Palmowskis hinaus, insgesamt skeptisch beurteilt.

Krebs, H.:

Psychoanalytisch-pädagogische und systemische Perspektiven in der institutionellen Erziehungsberatung. Differenzen und Übereinstimmungen.

In: Ahrbeck, B., Eggert-Schmid Noerr, A., Finger-Trescher, U., Gstach, J. (Hrsg.): Psychoanalyse und Systemtheorie in Jugendhilfe und Pädagogik. Psychosozial-Verlag: Gießen 2010 [Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 18], 124-149

Abstract: Institutionelle Erziehungsberatung ist eine sozialstaatliche Leistung. Vor dem Hintergrund eines sozialpädagogischen Beratungsbegriffs wird diskutiert, welchen Beitrag systemisch-konstruktivistische und psychoanalytisch-pädagogische Ansätze für die Erfüllung dieser Aufgaben leisten. Es kann gezeigt werden, dass systemtheoretische Entwürfe von Beratung, die sich auf einen radikal-konstruktivistischen Ansatz beziehen, den Gegenstand von Beratung verfehlen. Es mangelt ihnen an einem Subjektbegriff, und normative Fragestellungen von Beratung werden ausgeblendet. Pragmatische Entwürfe des Systemischen weisen die genannten Leerstellen nicht auf. Diese systemischen Ansätze verorten sich in der Erkenntnisposition eines relativen Konstruktivismus. Beratung wird aber nicht konsequent im Spannungsverhältnis von Autonomie und sozialer Interdependenz als Fokus subjektiver Bildungsprozesse verortet. Dafür wird als Leitkategorie der Begriff der »intersubjektiven Anerkennung« eingeführt. Dieser berührt die bewussten Anliegen der Ratsuchenden, aber ebenso die nicht-gewussten bzw. unbewussten Aspekte der Problemstellungen. Diese müssen mit psychoanalytisch-pädagogischen Methoden bearbeitet werden, die in eine Konstellation von Alter/Ego im Verhältnis zur sozialen Welt zu integrieren sind. Triangulierungen sind insofern wichtige Orientierungspunkte. Systemische und psychoanalytisch-pädagogische Perspektiven können daher integrativ genutzt werden.

Schwabe, M.:

Mit »psychoanalytischen« und »systemischen« »Stämmen« und »Geschichten« unterwegs in der Jugendhilfe.

In: Ahrbeck, B., Eggert-Schmid Noerr, A., Finger-Trescher, U., Gstach, J. (Hrsg.): Psychoanalyse und Systemtheorie in Jugendhilfe und Pädagogik. Psychosozial-Verlag: Gießen 2010 [Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 18], 150-166

Abstract: Der Autor geht an das Thema ohne den Anspruch heran, die überlegene Wahrheit des einen oder des anderen Ansatzes herausfinden zu können oder zu wollen. Er möchte vielmehr darstellen und klären, welchen Typ von Geschichten psychoanalytische und systemische Theorien zur Verfügung stellen, wobei er auf die starke Heterogenität der jeweiligen Stämme verweist. Über grundlegende Überlegungen hinaus wird anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht, worin sich die beiden Ansätze in einzelnen Themenfeldern unterscheiden, aber auch gezeigt, wie sie sich zumindest zum Teil mit einem gegenseitigen Gewinn ineinander übersetzen lassen. Nicht ohne Bedauern stellt Schwabe fest, dass systemische Gedanken derzeit in der Jugendhilfe sehr viel breiter rezipiert werden als psychoanalytische. Den institutionellen und ideengeschichtlichen Gründen dafür wird im Einzelnen nachgegangen und darüber nachgedacht, wie es einer Psychoanalytischen Pädagogik gelingen kann, sich wieder stärker in den Vordergrund zu schieben.

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Literaturumschau

Trunkenpolz, K., Funder, A., Hover-Reisner, N.:

»If one wants to ›see‹ the unconscious, one can find it in the setting of Infant Observation …« Beiträge zum Einsatz des Beobachtens nach dem Tavistock-Konzept im Kontext von Forschung

In: Ahrbeck, B., Eggert-Schmid Noerr, A., Finger-Trescher, U., Gstach, J. (Hrsg.): Psychoanalyse und Systemtheorie in Jugendhilfe und Pädagogik. Psychosozial-Verlag: Gießen 2010 [Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 18], 167-208

Abstract: Die von Esther Bick gegen Mitte des vergangenen Jahrhunderts an der Londoner Tavistock-Klinik primär zum Zweck der Aus- und Weiterbildung entwickelte Methode der »Infant Observation« ist eine Form des Beobachtens von Babys und Kleinkindern in ihrer alltäglichen Umgebung, mit dem Ziel mehr über deren Erleben und früheste Beziehungserfahrungen zu lernen. In den letzten Jahrzehnten hat die »Infant Observation« zahlreiche Modifikationen erfahren. So wurden mittlerweile Personen unterschiedlichen Alters in der Familie oder in Institutionen sowie Institutionen selbst zum Gegenstand von Beobachtungen nach dem Tavistock-Konzept. Seit den 1990er Jahren lassen sich zunehmend mehr Bemühungen ausmachen, diese Beobachtungsverfahren auch im Kontext von Forschung einzusetzen. Im Rahmen der Literaturmschau werden zunächst die Methode der Infant Observation und ihre Modifikationen dargestellt. In Form eines Überblicks werden im Anschluss Publikationen vorgestellt, die aus Studien hervorgegangen sind, in denen diese Beobachtungsmethode für das Verfolgen bestimmter Forschungsfragen eingesetzt wurde. Darüber hinaus werden zentrale Aussagen jener Publikationen zusammengefasst und diskutiert, in deren Zentrum explizit die Auseinandersetzung mit forschungsmethodischen und forschungsmethodologischen Aspekten dieser Beobachtungsmethode steht. Im abschließenden Resümee werden die Besonderheiten der Beobachtungsmethode nach dem Tavistock-Konzept als Forschungsinstrument zusammenfassend dargestellt. Dabei wird insbesondere auf das Potenzial der Beobachtungsmethode hingewiesen, über die Analyse von Beobachtungsmaterial Zugang zu latenten intrapersonellen, interpersonellen sowie organisationellen psychodynamischen Prozessen zu erlangen.

 

 

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