Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (1997) |
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In den Arbeiten von so manchen Klassikern der Psychoanalytischen Pädagogik – man denke an August Aichhorn oder Siegfried Bernfeld – kamen Anliegen zum Tragen, die sowohl psychoanalytischer als auch sozialpädagogischer Natur waren. Diese enge Verknüpfung von psychoanalytischen und sozialpädagogischen Interessen lässt sich bis in die Gegenwart herauf verfolgen und erfährt heute im Bereich der „Jugendhilfe“ eine besondere Zuspitzung. Denn zum einen ist psychoanalytisch-pädagogische Praxis über weite Strecken in den Bereich der „Jugendhilfe“ eingebettet, und zum anderen stellt „Jugendhilfe“ als gesetzliche Grundlage sowie als System von Trägern und Einrichtungen eine wichtige materiale Voraussetzung für Psychoanalytische Pädagogik dar. Dieser Umstand sowie zahlreiche aktuelle Entwicklungen im Bereich der Jugendhilfe veranlassten die Redaktion, das Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 dem Schwerpunktthema „Jugendhilfe und psychoanalytische Pädagogik“ zu widmen. Inhalt des Jahrbuchs für Psychoanalytische Pädagogik 9 (1998)Themenschwerpunkt: Jugendhilfe und Psychoanalytische PädagogikMüller, Burkhard, Finger-Trescher, Urte und Krebs, Heinz: Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt. In: Datler, W., Finger-Trescher, U., Büttner,
Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (Themenschwerpunkt
„Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik“, herausgegeben
von B. Müller, H. Krebs und U. Finger-Trescher). Abstract: Der Beitrag verweist auf die historisch weit zurückverfolgbare Nähe zwischen sozialpädagogischen Anliegen und psychoanalytisch-pädagogischen Bemühungen. Die Institutionalisierung von Jugendhilfe im Anschluss an das 1990 in Kraft getretene deutsche Kinder- und Jugendhilfegesetz hat allerdings neue Fragestellungen aufgeworfen (etwa die Frage nach den Möglichkeiten ambulanter Hilfestellungen) sowie einen spezifischen Fachdiskurs eröffnet, den es mit dem Diskurs der Psychoanalytischen Pädagogik erst zu vermitteln gilt. Aus dieser Perspektive sind die Beiträge des Themenschwerpunktes zu lesen, zu denen hingeführt wird. Krebs, Heinz und Müller, Burkhart: Der psychoanalytisch-pädagogische Begriff des Settings und seine Rahmenbedinungen im Kontext der Jugendhilfe. In: Datler, W., Finger-Trescher, U., Büttner,
Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (Themenschwerpunkt
„Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik“, herausgegeben
von B. Müller, H. Krebs und U. Finger-Trescher). Abstract: In dieser Arbeit wird der Versuch gemacht, „Rahmen“ und Setting“ als Arbeitsbegriffe einer professionellen Jugendhilfe, die in gesetzlichen Kontexten (KJHG) verankert ist, auszuweisen. Der Begriff des Rahmens verweist auf das kontingente Bedingungsgefüge professioneller Interventionen. Er stellt einen Grenzbegriff dar, der einerseits festlegt, was innerhalb eines festzulegenden Feldes zwischen Professionellen und Klienten „eigentlich los ist“, der andererseits jedoch auch die helfenden Interventionen mit der sozialen und institutionellen Umwelt verknüpft. Der Begriff des Settings bezeichnet demgegenüber das zu gestaltende Arrangement der sozial- und heilpädagogischen Arbeit in seinen örtlichen und raumzeitlichen Dimensionen. Am Beispiel einer Hilfeplanung (KJHG § 36) wird aufgezeigt, dass diese nicht nur Teil eines rahmensetzenden Verwaltungsaktes ist, sondern auf die förderliche Gestaltung eines Settings verwiesen ist, in welchem schwierige Verständigungsprozesse mit Hilfe des „szenischen Verstehens“ (Lorenzer) aufgegriffen werden. Eggemann-Dann, Hans-Werner: Was zählt, kann man (er) zählen. Die Bedeutung der institutionellen Erziehungsberatung für die Kinder- und Jugendhilfe. In: Datler, W., Finger-Trescher, U., Büttner,
Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (Themenschwerpunkt
„Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik“, herausgegeben
von B. Müller, H. Krebs und U. Finger-Trescher). Abstract: Die Veränderungen des öffentlichen Sektors, aus denen die neuen Steuerungsmodelle entstanden sind, haben neben vielen Unterschieden auch einen gemeinsamen Hintergrund mit den Krisen eines Teils unseres Klientels (sozialökonomische Risiken, soziale Deregulation etc.). Dies betrifft besonders Familien an den Schnittstellen von Jugendamt und Erziehungsberatung, die überwiegend das Klientel der Erziehungshilfen nach dem KJHG waren und sind. Von den Anliegen eines wichtigen Teils Rat suchender Familien in schweren (Multi-)Krisen und von Organisationsentwicklungsideen her kann die Praxis einer „Erziehungsberatungsstelle als lernende Institution“ entwickelt und damit auch deren Bedeutung für die Jugendhilfe dargestellt werden. Erziehungsberatung sollte resonanzfähig sein, sowohl dem Klientel gegenüber an den Schnittstellen von Jugendamt und Erziehungsberatung, als auch den Anliegen unserer Dohmen-Burk, Renate: An der Schwelle zum Berufsleben: Aus der Arbeit einer Beratungsstelle für Jugendliche und junge Erwachsene ohne Ausbildung. In: Datler, W., Finger-Trescher, U., Büttner,
Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (Themenschwerpunkt
„Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik“, herausgegeben
von B. Müller, H. Krebs und U. Finger-Trescher). Abstract: Der Artikel stellt die Frage nach der Bedeutung psychoanalytisch-pädagogischer Ansätze für die Jugendberufshilfe anhand der Arbeit einer Beratungsstelle für Jugendliche und junge Erwachsene ohne Ausbildung. Eingeschliffene Verhaltensmuster, die sich in der Interaktion mit zentralen Bezugspersonen herausgebildet haben, führen zu einem Spannungsverhältnis zwischen auftragsgemäßer Unterstützung bei der beruflichen Integration und notwendiger Beziehungsarbeit. Im Hinblick auf die von den Klienten zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben plädiert die Autorin dafür, psychoanalytisch-pädagogische Ansätze um Aspekte der genetischen Psychologie zu erweitern. Szypkowski, Renate: Vor Ort und hautnah – Sozialpädagogische Familienhilfe. In: Datler, W., Finger-Trescher, U., Büttner,
Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (Themenschwerpunkt
„Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik“, herausgegeben
von B. Müller, H. Krebs und U. Finger-Trescher). Abstract: Die Sozialpädagogische Familienhilfe ist ein Ergebnis der Reform des Jugendhilferechts und der in den 70er Jahren geäußerten Kritik an der Situation von Heimen. Sie leistet präventive Arbeit in Familien, die von einer Krise bedroht sind, oder bereits an einer Krise leiden. Die Anlässe für eine SPFH sind in der Regel Erziehungsschwierigkeiten, Entwicklungsauffälligkeiten, Beziehungsprobleme, Vernachlässigung, Trennung und Scheidung und nicht zuletzt die zunehmende Armut - auch unter Kindern. Prävention, Hilfe zur Selbsthilfe und die Beteiligung der Betroffenen als Strukturmaxime des Neuen Kinder- und Jugendlichengesetz sollen in diesen Situationen eine Hilfestellung geben. Die SPFH ist hierbei die intensivste Maßnahme und die Nachfrage nach ihr steigt stetig. SPFH wird in unterschiedlichen Trägerstrukturen angeboten. Ihr Vorteil besteht in der unmittelbaren Arbeit in der Alltagswelt der Familien. Insofern ist sie vor Ort und hautnah. Um der Komplexität der Problemlagen der Familien und der Arbeit mit ihnen gerecht zu werden, wird Supervision als ein wichtiges Hilfsmittel im Prozess der SPFH angeboten. Müller, Burkhard: Authentizität als sozialpädagogische Aufgabe. Das Beispiel Schuldnerberatung. In: Datler, W., Finger-Trescher, U., Büttner,
Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (Themenschwerpunkt
„Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik“, herausgegeben
von B. Müller, H. Krebs und U. Finger-Trescher).
Abstract: Authentizität wird hier als alltagtheoretischer Begriff verwendet, der darauf verweist, dass Sozialpädagogik als Profession sich nicht auf die Beherrschung technischer Fähigkeiten beschränken kann (ähnlich darin der Therapie), sondern als authentisch handelnde Person ausgeübt werden muss. Ausgehend von einer allgemeinen Funktionsbestimmmung sozialer Arbeit als zuständig für "dropout-Probleme" aller Art wird am Beispiel von Schuldnerberatung eine grundlegende Anforderung an professionelle soziale Arbeit (z.B. im Kontext von Jugendhilfe) freigelegt: Es geht dabei die Vermittlung zwischen der kompetenten Ausübung sachbezogener Funktionen mit Fähigkeiten zu psychoanalytisch-pädagogischem Verstehen und Interagieren. Das Beispiel illustriert zugleich Ähnlichkeiten und Unterschiede, welche zwischen therapeutischem und sozialpädagogischem Handeln zu beachten sind.
Beiträge von nicht deutschsprachigen AutorenImbert, Francis: „Bolid-Kinder“ und die Arbeit des Pädagogen. In: Datler, W., Finger-Trescher, U., Büttner,
Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (Themenschwerpunkt
„Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik“, herausgegeben
von B. Müller, H. Krebs und U. Finger-Trescher). Abstract: In diesem Beitrag, der an die Psychoanalyse Lacans anknüpft, wird davon ausgegangen, dass es heute in geringerem Maße autoritäre Strukturen, sondern vielmehr mangelhaft ausgebildete Strukturen sind, welche die Entwicklung Heranwachsender belasten. Ein Mangel an Strukturen hindert Kinder häufig daran, sich von primären Bezugspersonen abzugrenzen sowie die Fähigkeit zur Impulskontrolle und zum Symbolisieren zu entwickeln. Dies stellt auch Schule vor neue Aufgaben. Drei Fallbeispiele, die im Zuge der wissenschaftlichen Begleitung der „Pédagogie Institutionelle“ dokumentiert und bearbeitet wurden, verweisen darauf, wie Schule diesen Aufgaben gerecht werden kann und welche Bedeutung dabei der Reflexion der Beziehung zwischen Lehrern und Kindern zukommt: Die Reflexion dieser Beziehung wird durch tagebuchähnliche Notizen von Lehrern unterstützt und zielt darauf ab, emotionale Verstrickungen zu verstehen, „Entwirrungen“ zu ermöglichen und somit die Herausbildung von Struktur bildenden Differenzen zu unterstützen. Cifali, Mireille: Das pädagogische Verhältnis: Zwischen Verstrickung und Distanzierung. In: Datler, W., Finger-Trescher, U., Büttner,
Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (Themenschwerpunkt
„Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik“, herausgegeben
von B. Müller, H. Krebs und U. Finger-Trescher). Abstract: In diesem Beitrag, der aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt wurde, wird ein Verständnis von Psychoanalyse vorgestellt, das weder die Entwicklung von Erziehungsmitteln ermöglicht noch Gewissheiten verschafft. Sie ermöglicht vielmehr die Eröffnung von Diskursen, in denen versucht werden kann, Verstrickungen und Schwierigkeiten zu erkennen und zu verstehen, die Menschen mit sich und anderen haben. Die Autorin erläutert, inwiefern es notwendig ist, solche Diskurse zur Thematisierung von pädagogischer Arbeit zu eröffnen, zeigt aber auch, inwiefern die damit verbundene Art des Reflektierens oft dem widerspricht, was Pädagogen zu leisten haben oder meinen leisten zu müssen; nämlich: planvoll vorzugehen, Stärke zu zeigen, Erfolge zu haben. Dieses Spannungsfeld wird erläutert. Groenendijk, Leendert Frans: Psychoanalytisch orientierte Sexualaufklärung vor dem Zweiten Weltkrieg. In: Datler, W., Finger-Trescher, U., Büttner,
Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 9 (Themenschwerpunkt
„Jugendhilfe und Psychoanalytische Pädagogik“, herausgegeben
von B. Müller, H. Krebs und U. Finger-Trescher). Abstract: Dieser Beitrag beschreibt die Auseinandersetzung von Psychoanalytikern, die in der Zwischenkriegszeit an pädagogischen Fragen interessiert waren, mit zentralen Aspekten einer Theorie und Praxis der sexuellen Aufklärung. Das Interesse der Psychoanalyse an diesem Thema gründete in der Entdeckung der infantilen Sexualität, der kindlichen Sexualneugier und des Umstandes, dass es weit reichende Folgen hat, wenn man Kinder über solch zentrale Themen des menschlichen Lebens uninformiert bzw. mit ihren Ängsten und Phantasien alleine lässt. Der Artikel zeichnet nach, inwiefern sich noch in der Zwischenkriegszeit Vorstellungen darüber, weshalb, von wem und in welcher Form Kinder sexuell aufzuklären sind, verändert haben. Diese Veränderungen werden damit in Zusammenhang gebracht, dass Psychoanalytiker vom (neurose-)prophylaktischen Gewicht früher Aufklärung immer weniger überzeugt waren. Überdies sahen sie sich mit dem Widerstand von Kindern gegen die Aufnahme von Antworten auf ihre sexuellen Fragen konfrontiert.
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